1979 lernte ich den Fotografen Christian Borchert (1942–2000) kennen. Er war durch seine Künstlerporträts
bereits renommiert, und seine monumentale Dokumentation des Wiederaufbaus der Dresdner Semperoper
hatte begonnen (1977–1985). 1986 konnte ich das Buch Christian Borchert Berliner in meinem Westberliner
expose verlag veröffentlichen, das vor allem Strassenfotografie in der Tradition des “human interest” enthielt.
Wir freundeten uns mehr und mehr an und tauschten uns über alle möglichen Aspekte der Fotografie und des
Lebens aus. Christian hatte diesen feinen sächsischen Charme, war aufmerksam und neugierig, neigte aber auch
zu depressiver Sicht auf sein Leben, oft gebeutelt von seiner Suche nach familiärer Nähe. Eine eher komplizierte
Beziehung zu einer geliebten Frau führte nicht zur Ehe. Er musste erkennen, dass er als Künstler Einzelgänger
war.
Unter seinen Werkkomplexen nahm die Sammlung über das Leben in der DDR einen beträchtlichen Raum ein.
Bereits 1981 nannte er mir auf einem Postkartengruss sein Ziel: “100 Fotografien der DDR”. Die
Schwierigkeiten, nach der Wende künstlerisch und professionell seinen Platz zu finden – sprich: den
Lebensunterhalt mit der Fotografie bestreiten zu können –, verhinderten die Verwirklichung dieses Zieles. Sein
plötzlicher Tod im Jahr 2000 setzte eine weitere Zäsur.
Zum Glück (und ein wenig auch durch meine Nachhilfe) konnte sein Nachlass gesichert werden. Die Deutsche
Fotothek in Dresden übernahm alle Negative, Werkprints und sein Schrifttum. Die Ausstellungsbilder gingen
teils an die Berlinische Galerie und teils an das Kupferstichkabinett in Dresden. Aus diesem Nachlass heraus
erschien 2014 im Leipziger Lehmstedt-Verlag die wichtige Publikation “Familienbilder”.
Ich aber erinnerte mich immer wieder an seine Bemerkung anlässlich einer seiner Fotoausflüge: “Meine lieben
DDR-Bürger waren alle da!” Warmherzig, dabei unsentimental hatte er seine Landsleute im Osten
Deutschlands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgelichtet. Sein Augenmerk galt dem Alltäglichen,
Unspektakulären. Ein feiner Humor durchzieht seine Bilder. Die Porträts sind durch Respekt vor den
Dargestellten charakterisiert. Kinder und Alte, Einzelgänger, Paare und Gruppen beachtete er, besonders auch
Frauen und deren gewandeltes Bild in der Öffentlichkeit. Borchert war ein diskreter Chronist seiner Zeit.
Schattentanz soll dazu beitragen, dass Christian Borchert als herausragender Fotograf aus ostdeutschen
Ländern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlicher wahrgenommen wird.
Ich möchte mit diesem Buch meinem früh verstorbenen Freund – Christian wäre in diesem Jahr 75 Jahre alt
geworden – ein kleines Denkmal setzen.
Hansgert Lambers
im Februar 2017